1978-1988
"In Trinkwasser kann man auch ertrinken und
zuviel Informationen können taub machen und am Ende ist man dümmer als
vorher", sagte Herr Pfifkas und schaltete wieder einmal erst gegen Mitternacht
den Fernseher ab.
"Wenn man ein Pferd vom Zaumzeug befreit, wird
es dadurch noch lange nicht fähig sein, eigene Wege zu gehen. Es wird wohl bei
Gelegenheit wieder anderen Reitpferden folgen", sagte Herr Pfifkas, als
sich sein Nachbar über die traurigen Folgen einer Revolution beklagte.
Herr Pfifkas hatte es eilig. Natürlich waren an
diesem Tag alle Ampeln rot. Dies auch an Kreuzungen ohne Verkehr. "Soweit
ist es gekommen! Wir lassen uns von einer Maschine Vorschriften machen! Von
einem Eisentrumm, das nur drei Farben kennt und sowenig Hirn hat wie ein
Ofenrohr!"
Die Geschäftswelt habe sich des Trends zum Natürlichen
bemächtigt, stellte Herr Pfifkas fest. Eigentlich sei dies ein gutes Zeichen,
denn dies spräche für die Beliebtheit dieses Gedanken-gutes. Leider würde dem
Verbraucher mit den zündenden Aufklebern "Bio", "Öko" oder
"Natur" nur Geld für Waren abgeknöpft, deren Herstellung zumeist
überflüssig und deren Konsum manchmal schädlich sei. Die wirklichen Werte der
Natur seien nach wie vor billig oder gar kostenlos zu haben.
Herr Pfifkas bat seinen Sohn keine tieferen Löcher
zu graben, als er wieder zufüllen könne, keinen Weg breiter zu bauen, als er
ihn benötige, nie mehr Bäume zu schlagen als nachwachsen und niemanden so tief
zu kränken, dass dieser ihm nicht mehr verzeihen könne.
"Wenn die alten Bäume an Luftverschmutzung
eingegangen sind, werden wir zur Erinnerung unseren Schornsteinen die Form von
Bäumen geben. Mit ein wenig Phantasie können unsere Kinder den Qualm für
Baumkronen halten!", sagte Herr Pfifkas und erschrak als jemand lachte.
"Stell dir vor", sagte Herr Pfifkas
kreidebleich zu seiner Frau, "es gibt heute etwa 1 Million verschiedener
chemischer Verbindungen! Von ungefähr 5000 weiß man in etwa, welche
Auswirkungen sie auf die Menschen haben. Mit weiteren 40000 heißt es, habe man
Erfahrungen aus Tierversuchen. Von den restlichen 955000 weiß man so gut wie
nichts. Über Kombinationswirkungen weiß man sowieso noch überhaupt
nichts..."
Herr Pfifkas legte die Tageszeitung beiseite und
öffnete das Fenster. Bei uns wisse man eben nur, was sich lohne zu wissen,
erwiderte seine Frau.
Herr Pfifkas kam beim Brotbacken ins Grübeln. Die Hefe, dachte er, verändert den Teig, wie kritische Gedanken
ein Gemeinschaftssystem. Wenn die Hefe nur richtig angesetzt wird, das
Anfangsstadium ist entscheidend! Werden schädliche Einflüsse wenigstens die
erste Zeit abgehalten, kann sich die Hefe auf ein Vielfaches ihres
ursprünglichen Volumens vergrößern. Nun kann sie durchaus heftige Gewürz- und
feindliche Salzgaben verkraften. Diese Einflüsse werden dem Teig sogar gut tun,
verhindern sie doch einen übertriebenen Gärvorgang, der den Teig aufbläst, die Luft aber nicht halten kann,
so dass er schließlich wieder in sich zusammenfällt.
Auch das gewalttätige Kneten fördert die gute Durchmischung
der Zutaten und macht den Teig elastisch und reif für die Gärung. Selbst die
Hitze des Ofens schadet dem Brot nicht, hält doch die entstehende Kruste das
Brot zusammen und schützt es vor Austrocknung.
Wenn durch die Hitze auch die Hefe abgetötet wird,
das gebackene Brot lässt sich nicht mehr in seinen ungelockerten Zustand
zurückversetzen.
Nachtrag.
Wenn bereits gelockerter Hefeteig ungebacken längere Zeit herumsteht -
wird er sauer und langfristig ungenießbar. Ein Teil diese Sauerteiges aber,
über Nacht mit frischem Mehl angesetzt, ist bereits am Morgen zu einer
umfassenden Teiglockerung fähig. Sauerteigbrot schmeckt sogar besonders
köstlich!
Herr Pfifkas, der Pädagoge, litt darunter, täglich
miterleben zu müssen, wie ein Kollege im Umgang mit den Kindern wenig Geschick
zeigte. Der Kollege ließ seine schlechten Launen an den Kindern aus, verletzte
sie, wo immer er eine Schwäche entdeckte und wurde von den Kindern dafür
gefürchtet und gehasst.
Als Herr Pfifkas eines Tages vor die Aufgabe
gestellt wurde, dem Kollegen ein Arbeitszeugnis auszustellen, wollte er diesen
nicht kränken und beschrieb ihn als
verständnisvollen Partner der Kinder, der sich stets darum bemühe, sie zu
fördern. Krampfhaft suchte Herr Pfifkas alle guten Ansätze zusammen und führte
sie lobend auf.
Umso mehr war er überrascht, als sich der Kollege
in der Zeit danach dem Bild im Zeugnis mehr und mehr anzupassen begann.
Herr Pfifkas sagte, dies sei ein Beispiel dafür,
wie sehr wir dem Bild zu entsprechen suchen, das die Mitmenschen von uns
haben.
Familie Pfifkas fuhr einmal zum Wandern ins Gebirge.
Schon von weitem gefiel ihnen ein Berg besonders. Durch seinen herbstbunten
Buchenwald wirkte er freundlicher als seine dunklen fichtenbestandenen
Nachbarn. Sie parkten ihr Auto und wanderten in bester Stimmung los. Doch
welche Überraschung, völlig unerwartet verhinderte eine tiefe Schlucht, in der
ein Wildwasser rauschte, eine weitere Annäherung.
Da lag der Buchenberg nun fast mit Händen greifbar
vor ihnen und war doch mit einem Male unerreichbar geworden. An ein
Durchklettern der steilabfallenden Felswände war nicht zu denken.
Enttäuscht trotteten die Wanderer an der Schlucht
entlang. Der Buchenberg wirkte nun noch anziehender, es war schon ein Jammer.
Erst nach einer Weile merkten sie, dass es auch am
Rande der Schlucht schön war. Knorrige Wetterbuchen säumten den Rand des
Abgrundes. Dazwischen luden leuchtend rote Hagebutten und reichbehangene
Haselnusssträucher zum Pflücken ein. Beim Ernten bewegte sie sich langsam
bergauf, ohne es recht zu merken. Irgendwann stand vor ihnen ein Gipfelkreuz.
Nun hatten sie doch noch einen Berg erstiegen, wenn auch einen
unschein-bareren. Vor ihnen lag der Buchenberg in seiner ganzen Schönheit, ein
schönerer Rastplatz war kaum vorstellbar. Sie setzten sich, begannen mit
großem Appetit zu essen und ergänzten die mitgebrachten Speisen mit den
geernteten Haselnüssen und erkannten, dass ein Berg nicht erstiegen zu werden
braucht, um sich an ihm erfreuen zu können.
Eine Schnellstraße hatte sich um den Ort gefressen.
Berge hatte man dafür abgetragen und andere in den Auen aufgeschüttet, nicht
nur alte Leute erkannten ihre Heimat nicht mehr.
Im Wirtshaus wurde Herr Pfifkas Zeuge einer
lautstarken Unterhaltung. Ein Jugendlicher wurde vom Stammtisch verwiesen,
weil er Parolen an die mächtigen Brückenpfeiler der neuen Straße gemalt hatte.
Wer so etwas mache sei ein Krimineller, ein Umweltverschmutzer noch dazu,
hörte Herr Pfifkas sagen.
Der Jugendliche sagte, er habe es doch nur aus Verzweiflung
gemacht, in heiligem Zorn gegen die Zerstörung der Heimat. Er sei ein
Nestbeschmutzer, wurde gebrüllt, mit so einem wolle man hier nichts zu tun
haben.
Herr Pfifkas hielt es nicht mehr auf seinem Platz.
"Wer ist ein Nestbeschmutzer?" fragte er, sich neben den Jugendlichen
stellend. "Wer das Nest verunreinigt und zerstört, oder wer auf das
Gestank und die Zerstörung hinweist?"
Der Stammtisch wandte sich nun ihm zu. Er solle
sich lieber nicht einmischen, wurde Herrn Pfifkas geraten, sonst könne man
meinen, er gehöre auch zu diesen Chaoten.
Herr Pfifkas erblasste, dann bezahlte er und
verließ mit dem Jugendlichen das Lokal. Draußen tröstete er diesen und meinte,
auch diese Betonköpfe würden irgendwann einmal begreifen, was zerstört worden
sei.
Das würde der zerstörten Heimat auch nicht mehr helfen,
sagte der Jugendliche leise und Herr Pfifkas sah, wie er sich verstohlens die
Augen wischte.
Beim Graben eines Erdkellers stieß Herr Pfifkas auf
einen mächtigen Stein, an dem sein Vorhaben zu scheitern drohte. Trotz
Hebelkraft und anderer Tricks, ließ er sich nicht aus der Grube befördern.
Nachbarn rieten, den Stein zu zerschlagen, doch dafür fehlten Herrn Pfifkas die
geeigneten Werkzeuge.
Schließlich grub er in der Grube neben dem Stein
ein großes Loch und versenkte diesen darin.
Herr Pfifkas hatte sich ein reizvolles, mit Bäumen
bestandenes Grundstück gekauft. Da er es für sich allein haben wollte, begann
er Bäume zu fällen und baute daraus einen Zaun. Als dieser fertig war, waren
die meisten Bäume gefällt. Doch mit den Bäumen hatte das Grundstück seinen Reiz
verloren und der Zaun war überflüssig geworden.
In seinen ersten Berufsjahren setzte Herr Pfifkas
alles daran jene Dinge zu erwerben, die laut Werbung, das Glück des Menschen
ausmachen. Mit harter Arbeit und vielen Überstunden eroberte er sich, was ihn
als Wohlstandsbürger auszeichnete. In seiner Garage stand
ein rasantes Automobil, ein Farbfernseher mit Videorecorder, eine Stereoanlage
mit allen Schikanen, eine Waschmaschine, eine Kühltruhe und auch eine
Geschirrspülmaschine. Merkwürdigerweise wollte sich das erwartete Glücksgefühl
dennoch nicht einstellen. Immer häufiger wurde Herrn Pfifkas das krasse Missverhältnis
zwischen seiner nervenden Arbeit - aus der er neben Geld große Müdigkeit und
diverse Leiden bezog - und dem schalen Glück des Kaufens bewusst. War er in
der Arbeit, sehnte er das Wochenende herbei, war dieses dann da, lebte er in
Angst vor dem Montag. "Ein Leben in den Pausen! Soll das wirklich alles
sein?"
Dazu kam, dass die teueren Waren nicht die in der
Werbung versprochene Freiheit brachten, sondern weitere Sorgen. Das rasante
Auto begann bald zu rosten und musste wegen diesem und jenem Schaden in die
Werkstatt. An den Möbeln wellte sich das Furnier und manches Stuhlbein begann
zu wackeln. Die Waschmaschine streikte, der Fernseher flimmerte und in der
Stereoanlage ließen sich einige Tasten nicht mehr bewegen.
Herr Pfifkas fühlte sich bald wie ein Sklave der
vielen Geräte. Sie hatten ihm keine Freiheit gebracht, sondern nur neue
Verpflichtungen. Zudem spürte er seine wachsende Abhängigkeit von ihnen. Ohne
Auto kam er sich nur wie ein halber Mensch vor. Streikte gar der Fernseher,
fühlte er sich allein und unglücklich und wusste mit seiner Freizeit nichts
mehr anzufangen.
Auch das reichliche Essen, das sich Herr Pfifkas
leistete, hatte seine Nebenwirkungen. An Hüften und Bauch setzte sich Speck
an, die Zähne verlangten ständige Reparatur, Aufregung und Anstrengung erzeugten
Kurzatmigkeit und Herzrasen und in den Gelenken und dem Kreuz begann es immer
öfter zu stechen und zu ziehen.
"Da kann doch irgendetwas nicht stimmen",
fluchte Herr Pfifkas immer öfter. "Tagsüber ärgere ich mich mit der
schwachsinnigen Arbeit in der Fabrik herum und abends mit dem Krempel, den ich
mir für den Schweiß erstotterte. Nebenbei getraue ich mir wegen der vielen
Schulden nicht mehr den Mund aufzumachen, um ja die Arbeit nicht zu verlieren.
Von der schönen Zeit, die ich wegen meiner Wehwehchen bei den Ärzten
verplempere, will ich gar nicht reden! Was bin ich doch für ein Narr!"
Es fehlte nicht viel und der so teuer erworbene
Krempel wäre auf den Sperrmüll geflogen, um endlich wieder frei atmen zu
können. Doch Herr Pfifkas besann sich und verkaufte seine Habe nach und nach
und tilgte mit dem Erlös die restlichen Bankkredite.
Mit jedem Stück, von dem er sich trennte, fiel ihm
eine Last von der Seele. Beflügelt überprüfte er seine Ausgaben und verzichtete
auf das Überflüssige. "Was ich nicht ausgebe, brauche ich auch nicht
verdienen!" sagte er jedem, der ihn wegen seines sonderbaren Verhaltens
ansprach.
Schließlich kündigte er seine stumpfsinnige Arbeit
und fuhr mit dem Fahrrad einige Monate durch die Welt. Nach seiner Rückkehr
setzte er sich wieder auf die Schulbank, um einen Beruf zu erlernen, den er für
sinnvoll hielt. Denn das hatte Herr Pfifkas begriffen: wer sich in seiner
Arbeit wohlfühlt, braucht das Glück nicht in den Kaufhäusern zu suchen!
Als Herr Pfifkas einmal eine Wohnung in der Großstadt
bezog, wollte er in einer Pflanzwanne, die er auf dem kleinen Balkon vorfand,
Tomaten ziehen. Doch die vorhandene Erde war ausgelaugt und Düngung war
dringend nötig. Herr Pfifkas hatte eine Idee. Er streute Brotkrümel auf das
Erdreich und die damit angelockten Spatzen und Tauben ließen ihm zum Dank
ihren Mist zurück.
Herr Pfifkas war ein begeisterter Gärtner. Nur
manchmal im nasskalten Frühjahr, wenn seine Gemüsesamen nicht recht keimen
wollten oder wenn die zarten Pflänzchen von gierigen Schnecken verschlungen
wurden, klagte er den Gemüsegeistern sein Leid. "Oh du dicke Möhre!"
rief er und: "Steh mir bei du großer Blumenkohl!"
In einem besonders misslichen Frühjahr klagte er so
laut, dass sich die Gemüsegeister erbarmten und fragten, was sie für ihn tun
könnten.
"Da wüsste ich schon was", sagte Herr
Pfifkas erfreut und schilderte seinen Gärtnertraum, den er seit vielen Jahren
träumte.
Die Gemüsegeister hörten ihm geduldig zu und kratzten
sich nur gelegentlich hinter ihren grünen Ohren. Es war aber auch zu verrückt,
was sie da zu hören bekamen. Sie, die Geister, sollten sich allesamt mit jungen
Bäumen paaren!
Nach längerer Widerrede stimmten die Gemüsegeister
zögernd zu. So kam es bald zu Ungewöhnlichem in Herrn Pfifkas Garten: der große
Blumenkohl heiratete einen Fliederbusch und für die dicke Möhre fand sich eine
alleinstehende Fichte. Der knollige Kohlrabi paarte sich mit einer knackigen
Kopfweide und ihre Duftigkeit, die Zwiebel, schenkte einem Hollerbusch ihr
Jawort.
Herr Pfifkas war zufrieden. Er pflegte die
Brautleute fürsorglich, fütterte sie mit bestem Kompost, bedeckte ihre Füße
mit einer warmen Mulchdecke und vergaß an keinem Tag das Gießen.
Eines Tages war es dann soweit. Auf dem Fliederbusch
blühte saftiger Blumenkohl und auf der Fichte wuchsen prächtige Möhren. Die
schlanken Zweige der Kopfweide bogen sich unter der Last dicker Kohlrabis fast
bis zum Boden und der Hollerbusch trug anstatt schwarzer Beerendolden reichlich
Zwiebeln. Es hatte also geklappt! Herr Pfifkas war ganz aus dem Häuschen.
"Nie mehr aussäen! Nie mehr Unkraut jäten! Nun sollen die Schnecken sehen,
wie sie auf die Bäume klettern..!"
Herr Pfifkas lud zu einem Gartenfest, denn der
großartige Zuchterfolg musste gefeiert werden. Die Besucher kamen aus dem
Staunen nicht mehr heraus. Was sie sahen, war nichts weniger als ein Wunder!
Herr Pfifkas nickte nur bescheiden und forderte
seine Gäste auf, sich zu bedienen.
Doch welche Enttäuschung - schon den ersten Bissen
spuckten die Besucher entsetzt wieder aus, denn der Blumenkohl schmeckte nach
Flieder, die Möhren nach Harz, der Kohlrabi nach eingeschlafenen Füßen und die
Zwiebeln rochen unerträglich nach Holunder.
Die Festgäste verliefen sich bald, nachdem Herr
Pfifkas manchen Spott sich hatte anhören müssen. Den Tränen nahe rief er die
Gemüsegeister um sich für seine Gäste zu entschuldigen. Doch diese lachten und
meinten, das Ganze sei für sie eine nette Abwechslung gewesen.
Doch Herr Pfifkas seufzte noch ein ganzes Jahr,
denn solange musste er nun sein Gemüse im Supermarkt kaufen.
"Die Menschen vergessen heute alle die
Fertigkeiten, die sie Jahrtausende überleben ließen. Eine künstliche Welt redet
ihnen ein, der Mensch müsse außer konsumieren nichts weiter können",
sagte Herr Pfifkas besorgt. "Kein Wunder also, dass die Menschen größte
Angst davor haben, der Strom könnte ausfallen und
ihrer künstlichen Welt wie einem Luftballon die Luft ausgehen. Diese Angst ist
viel größer als die vor Atommeilern und Plutoniumfabriken."
Auf einer Wahlversammlung wurde Herr Pfifkas aufgefordert,
sich als Kandidat zur Verfügung zu stellen. Herr Pfifkas lächelte etwas
verlegen und sagte, er würde wegen seiner Ehrlichkeit nie und nimmer gewählt
werden.
Die Anwesenden gaben sich mit dieser Behauptung
nicht zufrieden und forderten Konkretes darüber zu erfahren.
Herr Pfifkas zögerte eine Weile, ging dann aber
doch zum Rednerpult und sagte, es genügt nicht, das Unerträgliche nur
kosmetisch zu verschönern. Eine Eiterbeule zu überschminken, würde die
Eiterbildung kaum bremsen. Ebenso sei es mit der gegenwärtigen Zivilisation.
Es würde nur dann ein Überleben für die Menschen geben, wenn sie die Belastung
der Natur auf ein von ihr verkraftbares Maß senken. Konkret hieße das, auf
diejenigen Waren zu verzichten, die nicht wieder schadlos in die natürlichen
Kreisläufe zurückgeführt werden können. Jeder kann sich selber ausrechnen, was
da noch übrigbleibt. Immerhin, meinte Herr Pfifkas abschließend, bliebe genug
für ein gutes Leben.
Die Zuhörer waren still geworden. Immerhin fanden
sich nun mehrere Kandidaten, die sich für die Wahl zur Verfügung stellten.
"Seit die einfachen Leute lesen können,
verbirgt man die gefährlichen Wahrheiten zwischen Bergen von Buchstaben. Heute
ist zur Tarnung gar keine Gelehrtensprache mehr nötig, denn die moderne Buchstabenflut
lassen die kleinen und großen Wahrheiten unsichtbar werden. Wer kann schon
Kerzenlicht wahrnehmen, wenn grelle Scheinwerfer blenden?" sagte Herr
Pfifkas. „Die Suche nach der Wahrheit war noch nie schwieriger als heute. Der
Heuhaufen hat sich vervielfacht und die berühmte Stecknadel ist nicht größer
geworden."
Herr Pfifkas hatte ein Gemüsebeet, dessen Ertrag
durch den Schatten von Weiden stark gemindert wurde. Deshalb hackte er die
Weiden ab, damit sein Gemüse mehr Licht zum Gedeihen bekam. Doch nach einem
Jahr waren den Weidenstümpfen neue Ruten entwachsen. Erneut griff Herr Pfifkas
zum Beil.
Die Weidenstümpfe trieben aber immer wieder aus und
wurden immer dicker und ihre Wurzeln konkurrierten mit dem Gemüse um Platz und
Nährstoffe. Schließlich wurde es Herrn Pfifkas zu dumm, das Abhackken der
Weiden brachte keine Lösung, er musste sie mit Stumpf und Stiel entfernen. So
grub er tagelang, bis alle Wurzeln entfernt waren. Das Gemüse und das Beet
fielen der Umgraberei zum Opfer, doch die Arbeit lohnte sich in den Jahren
danach.
Herr Pfifkas kam einmal in ein Land, in der eine
Zeitung den Menschen einredete sie seien entweder schwarz oder weiß.
Herr Pfifkas empörte sich darüber und sagte,
Menschen seien nicht nur schwarz und weiß, niemand habe nur eine Farbe, jeder
habe alle Farben.
Als das die Menschen hörten, warfen sie die
Zeitung auf den Müll und schon nach kurzer Zeit waren sie nicht mehr
auseinander zu halten, denn alle waren gleichermaßen kunterbunt.
"Früher", sagte Herr Pfifkas, "haben
viele Schullehrer ihre Schüler mit fanatischem Nationalismus eingenebelt,
anstatt ihnen die Augen zu öffnen. Heute denken viele Lehrer nur noch ans
Tennisspielen, was sicher schon einmal ein bedeutsamer Fortschritt ist.
Herr Pfifkas führte seine kleine Tochter auf den
Friedhof, um ihr die Endlichkeit des Lebens vor Augen zu führen. Seine Tochter
zeigte sich an den Kindergräbern sehr interessiert.
Herr Pfifkas erklärte, auf welche Weise Menschen zu
Tode kommen können. Nur wer die Gefahren kenne, sagte er, könne ihnen begegnen,
das Vermeidliche müsse bekannt sein.
"Auch Etiketten sind Ketten", sagte Herr
Pfifkas.
Aus dem Radio kamen wieder Meldungen von bis zu
hundert Kilometer langen Stauungen auf den Fernstraßen.
"Mit einem Land, das seine Bewohner jedes Jahr
massenhaft verlassen, kann irgendetwas nicht stimmen", sagte Herr Pfifkas
nachdenklich zu seiner Frau. "Ein Land, das offensichtlich nur noch zum
Arbeiten taugt, ist ein armes Land.“
"Die Köche sollten die Nahrungsmittel, die sie
verarbeiten, selber anbauen", sagte Herr Pfifkas zu seiner Frau.
"Dann gingen sie respektvoller damit um! Die Verleger und Autoren die
Bäume für ihr Papier selber pflanzen und die Metzger ihre Schlachtkälber eigenhändig
großziehen und..."
"..und die Generäle ihre Soldaten neun Monate
im Bauch tragen, unter Schmerzen zur Welt bringen und dann unter Mühen und
Sorgen großziehen..!" fiel Frau Pfifkas ins Wort.
In Mann nickte und sagte, dies wäre gewiss sehr
hilfreich.
"Wenn man die Menschen mit Filmen an die
brutalsten, grässlichsten Verbrechen gewöhnt, wie sollen sie sich dann noch
über das Sterben von Vögeln, Bäumen oder gar Blumen erregen können?",
fragte Herr Pfifkas traurig den Verkäufer eines Videoverleihs. Er bekam keine
Antwort.
Herr Pfifkas, der Dichter, schrieb nicht mehr. Erst
fiel es niemandem auf, auch ihm selber nicht, denn er war den ganzen Tag
bienenfleißig, mit der Schaufel, der Kelle, der Sense, der Hacke. Er baute eine
Mauer aus Feldsteinen, sägte Brennholz, mähte die Wiese und hackte den Garten.
Auch abends, wenn seine Familie schon schlief, also zu der Zeit, in der er
früher besonders gern geschrieben hatte, tat Herr Pfifkas alles mögliche, er
las, schaute fern, lernte irgendetwas, musizierte- nur an die Schreibmaschine
setzte er sich nicht, ebenso wenig nahm er einen Stift zur Hand.
Seiner Frau fiel es schließlich zuerst auf, sie
sagte aber lange nichts. Dann bemerkte es auch Herr Pfifkas selber.
"Du", sagte er zu seiner Frau, "ich schreibe nicht mehr, ist dir
das schon aufge-fallen?"
Diese nickte und sagte, das würde schon wieder anders
werden. Doch Herr Pfifkas schüttelte den Kopf. "Nein", sagte er, das
wird nicht mehr anders. Ich habe nichts mehr zu schreiben. Das, was ich zu
schreiben hatte, habe ich schon geschrieben und nur Worte machen um der Worte
willen, ist nichts für mich."
"Du könntest dir einen Roman ausdenken",
sagte Frau Pfifkas.
Ihr Mann sah sie an. "Wozu? Es gibt schon so
viele. Ändert es irgendetwas, wenn es einen Roman mehr gibt? Wird die Welt
dadurch besser? Wird damit jemand glücklicher?"
"Du vielleicht", antwortete seine Frau.
Doch Herr Pfifkas schüttelte erneut seinen Kopf. "Nein", sagte er,
und damit war die Sache ausgeredet.
"Ich glaube schreiben kann nur einer, der an
die Macht der Worte glaubt", sagte Herr Pfifkas eines Morgens beim
Frühstück. Seine Frau schaute ihn leidlich interessiert an. "Und du
glaubst nicht mehr daran?"
Herr Pfifkas: "Ich fühle, dass es egal ist, ob
einer etwas sagt. Dem Universum ist es egal, der Sonne, dem Mond, der Erde
ebenfalls. Den Pflanzen ist es egal, den Tieren vermutlich auch und den
Menschen? Na ja, schon möglich, dass gelegentlich einer zuhört, doch warum
sollte der ausgerechnet meine Worte brauchen?"
"Du hast unrecht!“, sagte Frau Pfifkas nach
kurzer Überlegung. „Menschen brauchen Worte, sie haben für sie die Bedeutung
von Nahrung. Es mag nicht immer so gewesen sein, doch heute ist es so:
Menschen brauchen Worte, zumal gute und kluge, grad so wie Fische das Wasser
brauchen".
Herr Pfifkas Erstaunen über die Rede seiner Frau
war nicht gering. Er wusste auch nichts darauf zu entgegnen, im Gegenteil
fielen ihm haufenweise Begebenheiten ein, in denen er erlebt hatte, wie Worte
wirkten, wie sie Glück schenkten, Mut, Lachen oder Vertrauen. Schließlich
nickte er. "Du hast recht. Allein die Wirkung
von Worten auf die Menschen ist wichtig. Ein völliger Unsinn ihren Wert am
mangelnden Interesse der Sterne daran auch nur zu erwähnen." Und nach
einer Weile: "Man sollte den Menschen die Worte schenken, die ihnen Freude
bereiten, wenn sie schon so danach verlangen."
So kam es, dass Herr Pfifkas von da an überlegte,
etwa während er eine Wand verputzte oder den Schubkarren schob, wie er
Menschen mit Worten glücklich machen konnte. Manchmal legte er sein Werkzeug
beiseite und ging unter Menschen, hörte ihnen zu und sprach freundlich mit
ihnen, ihr Glück war sein Glück!
"Ich begreife es einfach nicht", sagte
Frau Pfifkas und legte die Morgenzeitung beiseite. "Diese Verrückten haben
genug Mordwaffen, um das Leben
hundertmal auszurotten. Wenn es ihnen wirklich nur um Abschreckung eines
Feindes ginge, sollte die Möglichkeit eines einfachen Overkills doch
eigentlich reichen! Trotzdem rüsten sie immer weiter, das macht doch gar keinen
Sinn!"
Für gewisse Herrschaften schon, antwortete Herr
Pfifkas, ohne aufzuschauen. Das Bedrohungsszenario ist der Schlüssel für das
größte Geschäft aller Zeiten, es leben ganze Wirtschaftszweige davon, vom
Militär ganz zu schweigen. Doch auch Wirtschaftszweigen, die nicht direkt davon
leben, werden mit der Einschüchterung der Menschheit, die Pfründe gesichert,
die Einflusssphären, die Rohstoffquellen, die billigen Arbeitskräfte, die
Märkte. Sie alle brauchen die atomare Geißelnahme der
Menschheit, sie brauchen ein Bedrohungssenario, damit ihre irrwitzige
Weltordnung nicht wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Sie handeln nach dem alten
Räuber- und Parasitenprinzip: ernähre mich, lass mich an dir verdienen, dann
schütze ich dich vor fremden Räubern, vor allem aber vor mir...
„Die Natur ist so großartig", sagte Herr
Pfifkas nach einem Spaziergang, "ihre Beziehungen sind so verästelt, dass
es ein heilloses Unterfangen ist, sie gänzlich zu verstehen oder gar sinnvoll
steuern zu wollen."
Verzweifeln müsse daran aber nur ein Tor, der in
seiner Einfalt die Natur für einen simplen Menschenapparat hält, für den es
irgendwo einen Schaltplan gibt.
Wenn ein Mensch durch ein Fernrohr oder ein Mikroskop
sehe, sei dies solange in Ordnung, wie er es aus Spaß und Neugier macht und im
Bewusstsein, dass für ihn nur sandkorngroße Mutmaßungen zu gewinnen sein
können, am unendlichen Sandstrand der Natur. Problematisch sei die Sache erst
geworden, seit der Mensch die Natur zerstören könne, ohne sie begriffen zu
haben. Ihm gehe es wie einem Kind, das mit dem Hammer zwar manches zerschlagen,
nicht aber instand setzen kann.
Daher solle sich der Mensch in seiner Beschränktheit
lieber in den Disziplinen üben, wo er es teilweise zur Meisterschaft gebracht
habe. Er denke dabei ans Essen, Trinken, Reden, Musikmachen, an die Liebe, die
Kunst oder das Fußballspielen...
Herr Pfifkas war wieder einmal dabei, sein Arbeitszimmer
aufzuräumen, dabei schimpfte er so laut über den vielen Krempel, dass seine
Frau besorgt ins Zimmer kam und ihn fragend ansah. Doch er winkte missmutig
ab.
"Ach! Weil's wahr ist!", grantelte er und
machte dabei ein Gesicht, als wollte er alle auffressen. "Lauter Gelumpe!
Alles hebt man auf! Tausend Dinge, die man sowieso nie findet, wenn man sie
braucht! Da die alten Kalender! Dort die Zettelwirtschaft! Oder hier fünf
Füller - und keiner funktioniert!" Es folgte ein langer Fluch.
"Alles schmeiß ich noch raus! Ein
Arbeitszimmer ist doch kein Raritätenkabinett! Ein Bleistift, ein Stuhl, ein
Tisch mit Schreib-maschine und ein paar leere Blätter Papier müssen genügen!
Wer viel hat, lässt nur viel herumliegen! Man muss sich einfach zu mehr
Disziplin erziehen!"
Und Herr Pfifkas begann aufzuräumen! Er holte einen
großen Karton für die Dinge, die er wegwerfen wollte, einen für die Dinge zum
Aufheben und eine kleine Schachtel für die Utensilien, die er im Arbeitszimmer
lassen wollte.
Als seine Frau nach Stunden zum Mittagessen rief,
lag Herr Pfifkas lesend auf dem Boden, inmitten hoher Papierstöße. "Mensch
Frau, hör mal!", sagte er gedankenversunken, "das hatte ich schon
ganz vergessen...!" Dann erzählte er von hundert interessanten Dingen,
die er aus gutem Grunde irgendwann einmal aufgehoben und nun wiederentdeckt
hatte. Spät in der Nacht, als die Frau ein letztes Mal vorbeischaute, lag Herr
Pfifkas in einer anderen Ecke des Arbeitszimmers und las immer noch. Die großen
Kartons, mit denen er Ordnung schaffen wollte, waren leer. Sogar eine alte
Illustrierte, die zu Beginn der Aufräumaktion in den Karton geflogen war, hatte
irgendwo wieder eine neue Heimat gefunden.
"Du und die grünen Kartoffeln!", sagte
seine Frau lächelnd und gab ihm einen Gutenachtkuss.
Herr Pfifkas war einmal zu einem Bankett geladen
und saß mit sehr feinen Leuten zusammen an der festlich gedeckten Tafel. Die
feinen Leute schwärmten in den höchsten Tönen bei jedem Gang, der aufgetragen
wurde. Herr Pfifkas hingegen stocherte
misstrauisch in den raffiniert zubereiteten Speisen. Da er dabei keinen
glücklichen Eindruck machte, wurde er gefragt, ob es ihm vielleicht nicht
zusage.
Herr Pfifkas antwortete sichtlich verlegen, er habe
Schwierigkeiten zu erkennen, welche Nahrungsmittel unter den kompliziert
aussehenden Soßen und Remouladen verborgen seien. Er möchte gerne wissen was
er esse.
Herr Pfifkas hatte einen großen Gemüsegarten, in
dem er alles Gemüse selber anbaute. Wenn das Wetter es nur einigermaßen zuließ,
sah man ihn in seinem Garten herumgraben und zupfen. Gelegentlich sprachen ihn
Leute deswegen an, da sie nicht begreifen konnten, warum ein finanziell
gutgestellter Mensch seine Freizeit mit einem so schmutzigen und mühseligen
Geschäft zubringt.
Es gäbe für ihn keine schönere, sinnvollere und
ehrlichere Tätigkeit, erklärt ihnen Herr Pfifkas dann immer. Nichts würde ihn
so erfüllen, als im Einklang mit der Natur die Nahrung für sich und die Seinen
selber anzubauen.
Einmal berichtete ihm seine Nachbarin, in den Supermärkten
sei der Zentner Kartoffel schon für ein paar Mark zu haben. Mit Blick auf Herrn
Pfifkas Kartoffelfeld, meinte sie mitleidig, dass sich der Kartoffelanbau ja
nun überhaupt nicht lohne.
Herr Pfifkas kratzte sich nachdenklich am Kopf. Der
Kartoffelpreis sei ja wirklich unverschämt niedrig. Selbst die Pflanzkartoffeln
hätten schon fast soviel gekostet. Die
Gartenarbeit sei ihm aber auch durch derartige Schleuderpreise nicht zu verleiden.
Seine eigenen Kartoffeln seien in jedem Fall unbezahlbar. Dass sie besser
schmeckten, sei sowieso klar, dass sie wegen ihres natürlichen Anbaus auch
gesünder seien, wohl ebenso. Noch gesünder wäre aber ihr Anbau als solcher.
Dieser erfordere Bewegung im Freien und brächte soviel Freude, dass die
Kartoffeln allein deshalb unbezahlbar seien.
Man solle ab und zu versuchen, sagte Herr Pfifkas
zu seinem Nachwuchs, einen Tag so zu leben, als wenn es der letzte wäre. Die
gegenseitige Wertschätzung unter den Menschen würde dann gewaltig zunehmen.
Erst die Vorstellung, sie nur noch heute sehen, sprechen und lieben zu können,
würde unser Verhalten ihnen gegenüber grundsätzlich verändern.
Von allem würde man mit einem Mal von allem seinen
wahren Wert erkennen. Jede Lebensäußerung, jede Kreatur, jedes Geräusch, jedes
Tun, jede Sinneswahrnehmung würden zur Kostbarkeit. Atmen, trinken, essen,
schlafen, lieben, sich bewegen, sich entleeren - die gewöhnlichsten
Verrichtungen würden durch unsere Vorstellungskraft zum Genuss. Mit einem Male
könne man Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden und kein Mensch ließe
sich mehr seine Zeit stehlen und durch irgendwelche Sachzwänge oder
Gewohnheiten durch die Gegend hetzen. Die Menschen würden sich stattdessen um
ihre Familien und Freunde kümmern und jede Minute mit ihnen wie einen edlen
Tropfen Wein genießen.
"Und wer den Tag genießen lernt, freut sich
auf den nächsten“, sagte Herr Pfifkas, „und er richtet die Welt so ein, dass
sie auch zukünftig ihren Wert behält. Nur wer glaubt immer Zeit zu haben,
verkennt ihren Wert und geht mit ihr entsprechend gedankenlos um.“
"Das Studium des menschlichen Körpers gibt uns
große Hoffnung", tröstete Herr Pfifkas seine Schüler. „Der Körper mit
seinen Organfunktionen hat sich in riesigen Zeiträumen entwickelt, weshalb von
ihm Rückschlüsse auf das damalige Leben gemacht werden können. Sowohl Zähne,
Hände und Verdauungstrakt würden uns als friedliche Pflanzenfresser ausweisen,
den übrigen Primaten vergleichbar. Pflanzenesser brauchen nicht zu töten, um
sich zu ernähren, so dass dieses nicht zu unserem Instinkt gehört, der sich in
Jahrmillionen in unseren Köpfen niederge-schlagen hat. Was wäre damit
verglichen schon der winzige Zeitraum, der uns aus unbekannten Umständen zu
Steinen, Keulen und Granaten greifen ließ. Man müsse also nur die misslichen
Umstände wieder ändern, was sicher leichter gesagt als getan sei. Aber immerhin
trügen wir die Möglichkeit zum Frieden in uns.
"Eine Gefährdung der Bevölkerung ist
ausgeschlossen...! Hast du das gehört?" fragte Herr Pfifkas, der sich
eigentlich nicht mehr aufregen wollte, aufgeregt seine Frau. "Ob nun
radioaktive Wolken abregnen, Chemielager verbrennen und Tonnen toter Fische ihren
Bauch nach oben drehen - nie ist eine Gefahr gegeben! Für wie blöd halten die
uns denn eigentlich?"
Frau Pfifkas legte ihr Strickzeug weg.
"Solange das Strontium nicht kiloweise vom Himmel regnet und ihre Autos
verbeult, werden wir diesen Satz immer wieder hören. Nur ja die Bürger nicht
beunruhigen! Sie könnten ja aus ihrem Halbschlaf erwachen und merken, auf
welchem ungeheueren Sumpf sie leben und dass ihr Überfluss ohne jedes Fundament
ist,“ sagte sie mit dünner Stimme.
"Vielleicht meinen die das aber ernst! Wer Atombombenversuche
hinnimmt, riesige Giftmengen auf die Felder verstreut, die Bio-sphäre als
Müllkippe missbraucht und bereit ist, mit den furchtbarsten Waffen die Erde zu
verbrennen - für den gibt es vielleicht wirklich keine besondere Gefährdung der
Bevölkerung..." sinnierte Herr Pfifkas.
"Immer wenn ich mir die leblose Größe des
Weltalls vergegenwärtige und die vergleichsweise winzige Biosphäre der Erde,
wird mir der Wert des Lebens bewusst. Wenn ich dann noch die ungeheuere Samenzahl
der Lebewesen bedenke, von denen nur der geringste Teil keimen darf oder als
Kind geboren wird, begreife ich, welches Glück es bedeutet, leben zu
dürfen", sagte Herr Pfifkas.
„Das Leben ist die größte Kostbarkeit. Allein
daraus lässt sich gut und schlecht ableiten. Gut ist, was das Leben, seine
Gesundheit und Vielfalt fördert und schlecht das Gegenteil davon.“
"Eine Kuh singt keine Loblieder über Blumen
und Gräser. In Schwärmereien darüber erbricht sich nur der Mensch. Doch wer
schätzt sie wohl mehr?", fragte Herr Pfifkas ohne eine Antwort zu
erwarten.
Ein Schüler, der sich viel vorgenommen hatte,
klagte wieder einmal über die vielen Hindernisse, die ihm den Weg zu seinen
großen Zielen erschwerten.
Er dürfe nicht all seine Erwartungen mit dem Erreichen
der Ziele verknüpfen, riet ihm Herr Pfifkas. Wer sich nicht am Weg selbst und
der Bewältigung seiner vielen Schwierigkeiten zu erfreuen lerne, sei besser
beraten stehen zu bleiben oder sich irgendeinen ausgetretenen Pfad zu suchen.
Es sei auch fraglich, ob man sich schließlich über
ein Ziel noch freuen könne, wenn man den Weg dorthin nur gejammert habe.
Ein Bekannter fragte Herrn Pfifkas warum er
schreibe.
"Ich lese gern", antwortete dieser ein
wenig verlegen.
"In religiöser Umnachtung, allgemein als
Gottvertrauen bezeichnet, sind schon
unzählige Menschen in die furchtbarsten Kriege gestürmt und haben die
schlimmsten Verbrechen begangen", sagte Herr Pfifkas. "Heute
vertrauen manche Menschen mit derselben Blindheit ihren Maschinen. Sie
vertrauen sich Gerätschaften an, deren Funktionen sie nicht durchschauen,
deren Versagen die ganze Schöpfung ausrotten könnte. Sie nennen sich selber
Realisten und glauben an die Allmacht der Maschinen und ihr störungsfreies
Funktionieren, an unendliches Wirtschaftswachstum, an unendliche
Verschmutzbarkeit, an unendliche Zer-störbarkeit der Natur und dies in einer
endlichen Welt. Und diejenigen, denen dieser Kinderglaube fehlt, nennen sie
Phantasten und Spinner.
Für die modernen Menschen kommt die Milch aus
Pappkartons und nicht aus dem Euter von Kühen, das Brot aus Zellophantüten und
nicht aus dem Korn vom Feld, das Gemüse aus Metalldosen und nicht aus der Erde,
stellte Herr Pfifkas einmal besorgt fest.
"Wie sollen die Menschen morgen wissen, wo sie
ihre Nahrung finden sollen?"
"Ach", sagte Herr Pfifkas zu seinem Hund,
während er ihm den Rücken kraulte, "die Menschen bilden sich ein etwas besseres zu sein als ihr Tiere".
Der Hund schaute etwas fragend und Herr Pfifkas
fuhr fort mit ihm zu reden. "Unsere Klugheit hat uns wenig Nutzen
gebracht. Sie ist zu groß, um sich mit einem Leben wie dem deinen zufrieden zu
geben, zu klein, um die Folgen unseres Handeln
abschätzen zu können. Uns Menschen genügt es als Lebenszweck nicht, nur zu
leben, also zu atmen, zu essen, zu trinken, uns fortzupflanzen. Wir haben uns
tausend Erleichterungen ausgedacht, die uns allesamt zum Käfig geworden sind.
Grad so ging es uns mit den Spielregeln, die wir nicht müde wurden uns
auszudenken."
Der Hund spitzte seine Ohren und klopfte mit seiner
Rute auf den Boden.
"Man könnte darüber hinwegsehen, wenn der
Mensch nicht dabei wäre alles zu vernichten". Herr Pfifkas stand auf und
der Hund umtanzte ihn, auf einen Spaziergang hoffend. "Wer soll die
Menschen bremsen, wenn nicht Menschen?" sagte Herr Pfifkas und holte die
Leine vom Haken.
"Es waren Deutsche, die mit der Kernspalterei
angefangen haben", sagte Herr Pfifkas zu seiner Frau. "Auch das Auto
haben Deutsche erfunden, ebenso die Autobahnen, den Fernseher, den
Düsenantrieb, den Computer und..." "...den Leberkäse..!", ergänzte seine Frau lächelnd.
Herr Pfifkas nickte grinsend. "Ich will damit
nur sagen, dass es uns Deutschen nicht schlecht anstünde, technische Irrwege
auch als erste wieder zu verlassen."
"Nur Schmerzen lassen einen erkennen, was
Schmerzfreiheit bedeutet", sagte Herr Pfifkas und freute sich nach einer
Krankheit über Selbstverständlichkeiten, die sonst niemand beachtete.
Beim Skilanglauf kam Herr Pfifkas auf einer Anhöhe
ins Sinnieren. "Eigentlich mag ich den Winter ja überhaupt nicht, aber
wenn ich mir das verschneite Land so betrachte - selbst die Stadt sieht mit
ihren weißen Dächern recht schön aus!"
"Der Schnee deckt die Sünden der Menschen
zu", stimmte Frau Pfifkas zu. "Der Winter überzuckert das
zerschundene Land wie die Hausfrau den verbrannten Kuchen."
"Was werden wir nur einmal mit den vielen
Autobahnen machen?" stöhnte Herr Pfifkas.
Die Trasse abtragen bringt nichts, da es uns an Humus fehlt, diese riesigen
Flächen zu rekultivieren."
"Vielleicht könnte man die Überholspuren als
Fundament für dezentrale Reihenhäuser verwenden, oder für Schulen und
Tennisplätze..", meldete sich seine Frau zu Wort,
"und die Kriechspur wäre ein brauchbarer Fahrradweg..."
Die Idee gefiel Herrn Pfifkas. Die verseuchten
Streifen beiderseits der Autobahnen könnte man als Park bepflanzen oder als
Brennholzwald mit schnellwachsenden Gehölzen. Dahinter könnte man dann
Selbstversorgergärten für die Reihenhausbewohner anlegen.
"Doch was machen wir mit den vergifteten
Großstädten, den Fabriken, Kasernen, Atomkraftwerken?"
Frau Pfifkas zuckte mit den Achseln. Sie meinte,
bei den Atommeilern und den Gifthalden der Industrie sei guter Rat teuer, den
Rest würde die Natur schon klein kriegen.
"Nun", sagte Herr Pfifkas zu seiner Frau,
die über Bekannte lästerte, die nur in sportlicher Rennkleidung mit dem
Fahrrad fuhren, "Fahrradfahren in Zivil tun eben nur die Leute, die sich
kein Auto leisten können."
"Hausfrauen, Arbeiter, Kinder, spinnerte
Umweltschützer..", lachte seine Frau.
"Körperliche Betätigung ist eben nur dann
etwas für feine Herrschaften, wenn durch die entsprechende Sportmode
ausreichend deutlich wird, dass man seinen Schweiß nur zum Spaß und ohne
praktischen Nutzen zu vergießen sich leisten kann."
Als der Politiker wieder einmal von den positiven
geschichtlichen Entwicklungen des allgemeinen Besitzstandes schwärmte, meinte
Herr Pfifkas, den Besitzlosen sei es egal, ob der Besitz nun dem Pharao oder
Herrn Meier von nebenan gehöre.
Schuld sei an allem das Böse im Menschen, sagte der
Geistliche, "solange der Teufel sein Unwesen treibt..!"
Herr Huber von nebenan mischte sich ein. Er glaube
nicht an den Teufel. Es sei vielmehr die Natur des Menschen, die kein Gut und
Böse kenne und jedes Wesen einfach nach seinem Vorteil streben lasse, was
unsere Moral dann missbillige.
Herr Pfifkas wiegte den Kopf und wies auf die unsicheren
Lebensverhältnisse hin, denen der Mensch durch Anhäufung scheinbar oder
tatsächlich Sicherheit spendender Dinge begegnen wolle. Solange es begründete
Furcht vor Armut, Krieg und Katastrophen gäbe, würde sich der Menschen davor zu
schützen suchen, indem sie wie die Hamster Vorräte der unterschiedlichsten
Art zusammenraffen. Dass sie dabei untereinander selten Rücksicht zeigen, sei
aber zumeist keine Bosheit, sondern entspränge allein dem Eifer ihrer
Bemühung.
"Ich kenne das Leben in den großen
Städten", sagte Herr Pfifkas zu seinem Sohn. "Für mich ist es schlimmer
wie das Treiben in Geisterbahnen! Die Menschen hasten dicht an dicht und sind
in der Menge so allein, wie sie es in einer Einöde nie sein könnten. Ich wohnte
jahrelang nur durch eine Ziegelwand von meinem Nachbarn getrennt und doch haben
wir uns nie kennengelernt."
Bei einem Klassenausflug kam es zu einer hitzigen
Debatte über die laufend anwachsenden Overkill - Kapazitäten.
"Na und", sagte einer der Schüler, lieber
tot als rot!"
Herr Pfifkas erschrak über diese Auffassung sehr
und sagte: "Ich wäre lieber lilablassblau als tot!"
"Ja, wollen sie damit sagen...",
stammelte der fanatische Schüler, "sie zögen die Sklaverei der Freiheit
vor...?"
Herr Pfifkas schaute den Jungen ernst an und antwortete,
er zöge dem Tod das Leben vor.
Der Schüler sagte, er sei auch für das Leben. Nur
wären es eben die Atombomben, die durch ihre abschreckende Wirkung beides
ermöglichten, Freiheit und Leben.
Herr Pfifkas schüttelte seinen Kopf. "Wenn ein
Verrückter mit der Lunte in der Hand, Jahrzehnte auf einem Pulverfass hockt
und nicht überfallen wird, kann dies am Pulverfass liegen. Nur, vielleicht
wollte ihn aber auch niemand angreifen, diese Möglichkeit sollte man zumindest
nicht von vornherein ausschließen. Ob man das Leben des Verrückten aber in irgend eine Verbindung mit Freiheit bringen kann, möchte ich
stark bezweifeln!"
Auch mit dem Leben sei das so eine Sache, fuhr Herr
Pfifkas fort. Zwischen den Rüstungsbillionen und den zig Millionen Hungertoten
in der Dritten Welt bestehe ein ursächlicher Zusammenhang. Im übrigen solle man endlich aufhören,
Massenvernich-tungswaffen im Zusammenhang mit Verteidigung zu nennen, da sie
gerade das zerstören würden, was sie zu verteidigen vorge-ben. Wer für eine
Ideologie sein Leben riskieren wolle, könne dies im Falle eines Angriffes
beweisen. Er solle aber nicht ganze Völker als Geiseln nehmen und sich hinter
ihnen verstecken.
Herr Huber lobte wieder einmal unsere Überflussgesellschaft
in den höchsten Tönen. "Die sollen halt mehr arbeiten!", sagte er,
als Herr Pfifkas auf die Hungernden in der Dritten Welt hinwies.
"Sie glauben also, es läge an unserem Fleiß,
dass wir soviel Überschüsse erwirtschaften und wir uns die ganze Verschwendung
leisten können?"
Herr Huber bejahte dies. Herr Pfifkas atmete tief
und konnte nur mit Mühe seine Erregung verbergen. "Nehmen wir nur einmal
die Landwirtschaft", sagte er dann. "Woher kommen unsere Fleisch-,
Butter - und Getreideberge?" Herr Huber antwortete, diese seien das
Ergebnis unserer fortschrittlichen Agrartechnik und dem Fleiß unserer Bauern.
Herr Pfifkas schüttelte den Kopf. Diese Agrar-technik habe dazu geführt, dass heute
bereits mehr Kalorien zur Bestellung der Böden aufgewendet als letztlich
geerntet würden. Außerdem würden die Überschüsse durch Einkauf von großen
Mengen Kraftfutter aus der Dritten Welt erzeugt. In Küstennähe gäbe es bereits
landwirtschaftliche Betriebe, die praktisch kein eigenes Land mehr bebauten
und ausschließlich mit billig importierten Futter
wirtschafteten. So käme es zu Besatzdichten von zweitausend Schweinen pro
Hektar Boden. "Sie verstehen, Herr Huber? Mit Sojabohnen und Getreide,
etwa aus Südamerika, werden bei uns Tiermägen gefüllt, statt am Herkunftsort
Men-schen zu ernähren. Wenn unsere Bauern nur den Ertrag ihrer eigenen Böden
hätten, gäbe es weder Fleisch noch Butterhalden. Erst recht nicht, wenn unsere
Böden wieder Textil - und Ölpflanzen tragen müssten. Das wäre das Ende der
menschenmordenden Überernährung bei uns und das Ende des millionenfachen Hungertodes
in der Dritten Welt."
Herr Gscheidhaferl verstand es recht eindrucksvoll,
über die großen Dinge zu theoretisieren, ohne für sein eigenes Verhalten Lehren
daraus zu ziehen. Einmal verspottete er Herrn Pfifkas wegen dessen Bemühungen,
die Lebensgewohnheiten zu verändern. Er fände es ziemlich albern, sagte Herr
Gscheidhaferl, wenn in Anbetracht der gegenwärtigen Probleme denkende Menschen
ihre Kraft damit vergeudeten, Nichtraucher, Vegetarier oder sonst etwas zu
werden.
Herr Pfifkas antwortete, dies sei für ihn eine
Sache der Glaubwürdigkeit. Wer beispielsweise gegen Unterdrückung und den
Hunger in der Dritten Welt eintrete, dürfe sich auf dem Boden der Armen nicht
die Futtermittel für seine Steaks und den Tabak für seine Zigaretten anbauen
lassen usw. Ebenso wenig könne man glaubwürdig gegen die ökologische Zerstörung
kämpfen, wenn man seinen eigenen Warenkonsum nicht auf ein vernünftiges
Mindestmaß zurückschraube.
"Die Schule", schimpfte Herr Pfifkas, als
er von den schlechten Zensuren seines Kindes hörte, "ist ein Sieb mit
merkwürdigen Maschen. All die Eigenschaften, die diese verrückte Gesellschaft
nicht zu benötigen scheint, wie Feinfühligkeit, Solidarität, Phantasie,
Kritikfähigkeit oder Mitmenschlichkeit, fallen unbarmherzig durch. Hängen
bleiben in den Maschen nur die Raffinierten, Angepassten, Streber und Jasager,
die Schubladendenker und Auswendiglerner.
Unter lautem Zensurengeknall werden die Kinder abgerichtet,
elegant über formale Hürden zu springen und ihren Kopf als Durchlauferhitzer
für eine fragwürdige Hirnsuppe herzugeben."
Nach einem Vortrag über Entwicklungspsychologie und
Sozialisation stellte eine junge Frau fest, dass Wesen, die so sehr das
Produkt ihrer Lebensumstände sind wie die Menschen, für ihr Tun nicht
verantwortlich gemacht werden können.
Herr Pfifkas fragte, vor wem die Mensch
nicht verantwortlich seien.
"Vor Gott und dessen Gericht!" sagte die
Frau und meinte nachdenklich, dass dies aber auch so sei, wenn die Menschen von
einem Schöpfer fertig konstruiert seien und nach dessen gött-lichen Schaltplan
funktionierten, denn dann wäre dieser natürlich auch für sein Werk und dessen
Folgen verantwortlich. Der Mensch sei also in keinem Fall verantwortlich und
dürfe somit auch nicht gerichtet werden.
Herr Pfifkas wandte ein, dass es trotz aller
Prägungen und aller Fremdsteuerung eine Verantwortung des denkenden Menschen
gegenüber seinen Mitmenschen gäbe, denn wer für alles die Verhältnisse oder die
"göttliche Software" verantwortlich mache, degradiere den Menschen
zum willenlosen Spielstein, was ihm aber nicht gerecht werde.
"Tiere", sagte Herr Pfifkas zu seiner
Frau, "sind viel vernünftiger als wir Menschen!"
Seine Frau wollte wissen, wie er zu dieser ungewöhnlichen
Ansicht käme. Herr Pfifkas berichtete von Versuchen, in denen man Tieren
Wahlmöglichkeiten eingeräumt habe. In einem Fall habe man Kühen zwei
Grashaufen vors Maul gesetzt, der eine Haufen mit Kunstdünger, der andere
Haufen biologisch gedüngt. Die Kühe machten sich gierig über das natürlich gewachsene
Gras her und schoben das andere zur Seite.
Bei einem anderen Versuch konnten die Kühe zwischen
Stallböden aus Sand, Sägemehl, Stroh, Holz und Beton wählen. Die Kühe
bevorzugten allesamt Sand und Sägemehl. In der Beliebtheit folgten Stroh und
Holz. Beton wurde gänzlich abgelehnt.
Dies sei ja wirklich bemerkenswert, staunte Frau
Pfifkas. Interessant wäre es zu wissen, für welche Partei sich Rindviecher bei
der nächsten Wahl entscheiden würden...
Der Politiker beschimpfte Demonstranten als Gewalttäter,
weil sie sich vor Raketenwerfern auf die Straße gesetzt hatten.
"Ich habe auch einen weiten
Gewaltbegriff!" sagte Herr Pfifkas blass werdend. "Nicht nur
körperliches Verletzen ist für mich Gewalt, auch mit Worten kann man
verletzen!" Lügen, Verleumdungen, erniedrigende Reden und Spott können
schlimmer schmerzen wie Tätlichkeiten. Auch Wohn - und Arbeitsverhält-nisse
können Gewalt sein.“ Herr Pfifkas atmete tief.
"Wie der Maler Zille einmal treffend bemerkte,
kann man Leute nicht nur mit einer Axt erschlagen, sondern auch mit einer
Wohnung. Dasselbe gilt für Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger, Unrecht,
Diskriminierung und Chancenlosigkeit. Auch die Vergiftung der Atemluft, des
Trinkwassers, des Bodens, der Nahrung sind Gewalt! Lärm kann Gewalt sein, der
heimatzerstörende Bau einer Straße, einer Fabrik, eines Kraftwerkes, einer
Atomanlage können tiefere Wunden reissen als Gewehrkugeln! Dann gibt es noch
die Gewalt der Bürokratie, die Menschen erniedrigt, gängelt, numeriert und
bespitzelt. Auch Verschwendung kann Gewalt sein, wenn man ohne Not vergeudet,
was auch zukünftige Generationen noch benötigen. Doch wenn sich Menschen in
ihrer Verzweiflung vor Raketenwerfern auf den Boden setzen, dann kann ich nicht
die Spur von Gewalt entdecken. Im Gegenteil sind gerade die Atomraketen die
größte Gewalt die vorstellbar ist, denn sie drohen mit der Vernichtung allen
Lebens.“
"Gleichgültigkeit kommt von Ohnmacht, das
heißt von „ohne Macht“, sagte Herr Pfifkas zum Politiker, der lautstark die
allgemeine Teilnahmslosigkeit beklagte. Gerade demokratische Staaten, fuhr
Herr Pfifkas fort, könnten am Vorhandensein von Gleichgültigkeit erkennen,
wie es bei ihnen mit der Macht des Volkes tatsächlich steht.
"Nein", sagte Herr Pfifkas, „sie sind
kein richtiger Konservativer, sondern nur ein reaktionärer Philister!"
Der angesprochene Politiker glaubte nicht richtig
zu hören und während sein Hals vor Zorn anschwoll, konnte Herr Pfifkas
weitersprechen.
"Oder wie soll man einen Menschen nennen, der
nur die Einkommens - und Machtverhältnisse, nicht aber die Lebensfähigkeit der
Erde konservieren will?"
"Es ist ein gutes Gefühl", sagte Herr
Pfifkas zu einem alten Freund, "mein Mut wächst in gleichem Maße, wie
meine Ansprüche zurückgehen."
Der Freund bat dies, näher zu erläutern.
"Ich bemühe mich seit längerem", erklärte
Herr Pfifkas, "meine Gewohnheiten und Bedürfnisse kritisch auf ihren Sinn
hin abzuklopfen, viele habe ich offensichtlich nur in einem Zustand geistiger
Umnachtung angenommen."
"Geheime Verführer und so...?", fragte
der Freund grinsend. Herr Pfifkas nickte und fuhr fort: "... je mehr ich
mich nun von überflüssigen bis schwachsinnigen Gewohnheiten befreie, umso
geringer wird meine Abhängigkeit in manchen Bereichen. Jedes Stück
wiedergewonnener Freiheit stärkt mein Selbstbewusstsein und macht mich weniger
erpressbar."
"Zu Ende gedacht würde das ja heißen, dass
unsere Konsumkultur geradezu Unfreiheit produziert. Vielleicht führen deshalb
so viele Demagogen das Wort Freiheit im Mund...", murmelte der alte Freund
nachdenklich geworden.
"Phantasie", sagte Herr Pfifkas am
Wirtshaus zu streitenden Dogmatikern, "ist Voraussetzung für jede
Veränderung zum Guten." Die geringe Verbreitung von Phantasie, zeige sich
täglich. Wer nicht in der Lage sei, sich Krieg, Faschismus, Umweltkatastrophen
usw. vorzustellen, werde sie wohl erleben müssen. Ohne Vorstellungskraft sei
keinerlei Vorsorge möglich. Phantasie sei darum eine überlebenswichtige Disziplin,
die nicht nur Propheten besitzen sollten. Das kreative Lösen von Konflikten
sollte als Schulfach den ersten Platz einnehmen.
Beim Autofahren kam Herr Pfifkas ins Sinnieren.
"In der Politik ist es manchmal wie auf der Autobahn. Manche biegen rechts
ab um irgendwie nach links zu kommen. Die meisten überholen links und scheren
dann rechts ein.
Ein Bekannter von Herrn Pfifkas rechtfertigte in
seiner Beschränktheit seine eigene Verschwendung mit dem Vorbild der Natur.
Auch diese verschwende unzählige Samen, von denen nur wenige selber wieder
keimen, oder Bäume, die im Herbst ihre Blätter vergeudeten usw.
Herr Pfifkas schüttelte seinen Kopf. Die Natur gehe
nur verschwenderisch mit Dingen um, die sie jedes Jahr wieder neu hervorbringen
könne. Dem entsprechend dürften Menschen auch nur das menschentypische
vergeuden: Gedanken, Geist, Phantasie, Ideen, Liebe und Musik...
Herr Pfifkas spazierte gerne in den Bergen herum,
freute sich über seine Weitsicht und stolperte über Wurzeln und Steine. Gerne
betrachtete er entfernte Höhen und Tiefen und verfolgte den Lauf der Flüsse und
den Zug der Wolken und der Vögel. Dann schrieb er ein Buch über seine Weitsicht
und die Leute sagten, er wäre sehr klug.
Eines Tages ließ ein dichter Nebel keine weite
Sicht mehr zu. Herr Pfifkas, an seine Weitsicht gewöhnt, stolperte als einer
der ersten über das Unmittelbare und stürzte schmerzhaft. Da erkannte er den
Wert des Naheliegenden und so begann er die Wurzeln und Steine vor seinen
Füssen zu ertasten, die er bislang nicht wahrgenommen hatte.
Und Herr Pfifkas erkannte, dass es eine ganze Welt
war, die da vor seinen Füssen lag und über die er wie ein Blinder hinweggesehen
hatte. So verschaffte er sich nun Kenntnis vom Nahe-liegenden, soweit man das
eben so kann und sprach mit den Leuten darüber, erst wie es zu vermeiden sei,
darüber zu stolpern und zu Schaden zu kommen und dann, als er die Schönheit
der Dinge entdeckte, wurde er des Schwärmens darüber nicht müde und lag oft sogar
auf dem Bauch, begeistert von seinen Ent-deckungen. Er schaute und fühlte,
probierte und horchte. Die Leute fanden das ein wenig seltsam und sagten, der
Herr Pfifkas müsse alles immer ein wenig übertreiben.
Hinter dem Gebirge wird das Gelände mit Sicherheit
flacher", tröstete Herr Pfifkas seinen traurigen Nachbarn, Herrn
Unterwasser.
"Ja, aber nur wenn man sich in einer Richtung
bewegt! Wenn man stehen bleibt, kommt man nie in flacheres Land. Mir scheint,
wir bewegen uns nicht!", antwortete Herr Unterwasser.
"Alles bewegt sich", widersprach Herr
Pfifkas, "auch wir!" Herr Unterwasser seufzte er lebe nur einmal und
es nütze ihm wenig, vielleicht nach seinem Tod Oberwasser zu bekommen.
"Sie erhoffen sich also die Bewältigung der
durch Technik entstandenen Probleme durch neue Technik?", fragte Herr
Pfifkas seinen technikgläubigen Nachbarn. "Neue, klügere Technik soll die
weniger kluge alte ersetzen. Aber kann man Gewalt mit Gewalt beseitigen? Lärm
mit Lärm? Dummheit mit Dummheit? Auch die durch die Technik erzeugten Leiden,
können nicht wirklich durch neue Technik geheilt werden. Alle Erfahrung zeigt,
dass man zwar bekannten Teufeln die Hörner stutzen kann, dadurch aber an
anderer Stelle neue Hörner wachsen, ja, gänzlich unbekannte neue Teufel
entstehen."
Dies sei alles müßiges Geschwätz, sagte der
Nachbar, es gäbe kein Zurück mehr. Die Wunden der Natur stammten von der
Technik und müssten folglich auch durch sie geheilt werden.
Herr Pfifkas entgegnete, ihre Wunden könne nur die
Natur selber heilen.
Ein Berg, sagte Herr Pfifkas, sei im Gebirge nichts
besonderes, doch wie bestaune man ihn in der Ebene. Oder eine brennende Kerze,
die im Sonnenlicht niemandem ins Auge falle, ziehe in der Finsternis alle
Aufmerksamkeit auf sich. Auch in der Wirtschaft wisse man, dass ein
Überangebot den Wert einer Sache senkte. Daher habe auch der Mensch heute wenig
Wert. Um diesen zu steigern, müsste man mit Kindern geizen. Vielleicht würde
man ihnen dann endlich die Wertschätzung entgegenbringen, die sie verdienen.
Herr Pfifkas nahm sich einmal vor, jeden Tag eine
kurze Geschichte zu schreiben. Das wären, so rechnete er aus, 365 Geschichten
in einem Jahr, 3650 in zehn Jahren und - (fünfzig Jahre gedachte er mindestens
noch zu leben) - 18250 Geschichten in fünfzig Jahren.
Herr Pfifkas erschrak über die hohe Zahl und
verwarf seinen Vorsatz schnell wieder. Wenn jeder Autor soviel schriebe und es
am Ende gar noch drucken ließe, wären bald alle Wälder in Papier verwandelt.
Und überhaupt! Kein Mensch könne soviel Lesenswertes
von sich geben! Ja, und wer sollte denn diese vielen Buchstaben lesen, wo es
doch so viele lesenswerte Autoren gibt!"
Schweren Herzens beschloss Herr Pfifkas, täglich
nur einen Satz zu schreiben.
"Frau, stell dir vor: für jeden Menschen auf
diesem Planeten liegen umgerechnet 5000 Kilogramm herkömmlicher Sprengstoff
bereit, das reicht aus uns tausend Mal zu zerfetzen!" sagte Herr Pfifkas
mit blassem Gesicht von der Zeitung aufschauend.
"Als wenn einmal nicht genügen würde...",
antwortete seine Frau kopfschüttelnd.
"Diese Zivilisation
ist absolut verrückt! Sie ist das Dümmste was diese Erde bislang hervorgebracht
hat!" schimpfte Herr Pfifkas und feuerte die Zeitung in eine Ecke.
"Wenn ein Lebewesen nicht mehr an seine Arterhaltung und das Wohl seiner
Nachfahren denkt, ist es entartet, verrückt. Wer gar die Vernichtung seiner Art
vorbereitet, nicht versehentlich, sondern mit voller Absicht - wie soll man derartige Wesen bezeichnen?
Jeder Wurm, ja, jeder Einzeller, hat mehr Verstand, denn er trachtet mit all
seinem Streben danach, sein Leben zu leben und fortzupflanzen. Nur der Mensch,
der sich so gern als Krone der Schöpfung sieht, Gottes Ebenbild sein will und
den Kopf über die Wolken reckt, begreift das Einfachste nicht."
Herr Pfifkas konnte sich nicht beruhigen. "Am
armseligsten unter diesen armen Geschöpfen sind aber ihre Führer, die blinder
sind als Wurstzipfel! Und was hat schuld daran, dass
eine so hoffnungsvolle Art wie die Menschen derart aus der Bahn gekommen ist?
Das Geld! Allein das Geld steckt hinter allem, obwohl es ja objektiv keinen
Wert besitzt. Nur weil alle an seinen Wert glauben, laufen ihm alle hinterher.
Es zu besitzen und zu mehren füllt die Schädel der Menschen derart aus, dass
daneben kein Platz mehr bleibt für Vernunft und Freundlichkeit!"
Herr Pfifkas, der sich in vielen Bereichen
sachkundig gemacht hatte, geizte im Umgang mit Freunden nicht mit geistreichen
Bemerkungen. Irgendwann aber fiel ihm auf, dass die Leute ihm aus dem Weg
gingen, sogar seine Freunde besuchten ihn nur noch selten. Traurig ging er in
den Wald und klagte den Waldgeistern sein Leid.
"Du redest zuviel!", sagten diese.
"Halt öfter deine Klappe, auch wenn du es besser weißt!"
"Aber ich rede doch nicht viel...!"
stotterte Herr Pfifkas.
"Du müsstest dich einmal hören!",
antworteten die Waldgeister.
"Na ja, wenn ihr meint..",
seufzte Herr Pfifkas und nahm sich vor, den Menschen öfter zuzuhören und selber
zu schweigen. Es begann eine schwere Zeit. Die Leute verzapften ungeheuren
Blödsinn und Herr Pfifkas musste sich ständig auf die Zunge beißen.
Bald war er so beliebt wie nie zuvor. Die Leute
schütteten ihm ihre Sorgen aus und belehrten ihn über tausend Dinge.
Nun war es Herr Pfifkas, der den Menschen aus dem
Weg ging, sie fielen ihm furchtbar auf den Geist. Schließlich platzte ihm der
Kragen und er gab wieder kontra und so begann das Spiel wieder von vorn.
Ein Kind fragte Herrn Pfifkas, ob der liebe Gott in
der Kirche wohne. Der Angesprochene schüttelte den Kopf. In der Kirche sei es
kalt und ungemütlich, Gott sei nur dort, wenn sich Menschen dort aufhielten,
denn wohnen könne er nur in ihnen.
„Ich will nicht prahlen“, sagte Herr Pfifkas, „doch
meine Stärke ist, meine Schwächen zu kennen“.
„Und die wären?“ fragte seine Frau.
„Ja, was war das noch einmal...“, grübelte Herr
Pfifkas und grinste schelmisch.
„Ein Pferd hört zu, erzählt nichts weiter und macht
keine blöden Bemerkungen“, schwärmte Herr Pfifkas gegenüber seiner Frau.
„Vor allem widerspricht es dir nicht“, meinte
diese.
Freunde servierten Herrn Pfifkas ein
Schweineschnitzel. Dieser fragte ein wenig schelmisch, ob man von der Sau etwa
wüßte, etwa ob sie klug oder mutig gewesen sei. Die Freunde verneinten und Herr
Pfifkas berichtete von Versuchen mit kleinen Wasserwürmern, die von Forschern
erst geblendet und dann elektrisiert worden
waren und die bald schon zusammenzuckten, wenn nur das Licht aufleuchtete.
Nun, das sei ja das bekannte Konditionieren vom
alten Professor Pawlow, sagten die Freunde. Doch Herr Pfifkas schüttelte den
Kopf. „Das Erstaunliche kommt erst noch“, sagte er und berichtete, dass man die
Würmer zerstückelt und an andere Würmer verfüttert habe und diese ebenfalls
schon beim Aufleuchten des Lichts zusammenzuckten. Dies bedeute also, dass sich
Erfahrungen auch über den Darm übertragen lassen. Sollte dies stimmen, dann
wäre endlich erklärt, warum sich die Menschen so tierisch verhalten, bzw. warum
sie so beschränkt, lethargisch und aggressiv sind, grad so wie die gequälten
Kreaturen in den Agrarfabriken...
Über
Korruption
„Es gibt“, sagte Herr Pfifkas nachdenklich, “nicht
nur Korruption auf der Basis von Geld, sondern auch auf der von Gefühlen.
Selbst mächtige Unholde haben ihre guten Seiten und wenn man mit ihnen
menschlich verkehrt, entstehen Bindungen.. Sie wegen
ihrer Verfehlungen anzugreifen fällt schwer, unser Gefühl sträubt sich um so mehr dagegen, je freundlicher sie uns begegnen. So
schweigen wir, wo wir eigentlich anklagen müssten und stellen unser Gefühl über
Moral, Recht und Gesetz.... Aber mehr als ein finanzielles Wesen sind wir
soziale Wesen...“
Fragen zum Krieg
„Es gibt drei Fragen, die man sich bei jedem Krieg
stellen muß“, sagte Herr Pfifkas. „Wer hat welche Vorteile davon? Lenkt ein
Krieg von innenpolitischen Problemen ab? Schaltet man mit Krieg Konkurrenten
aus?“ „Wobei die erste Frage tausend weitere mit einschließt. Also sind es
eigentlich tausend und drei Fragen“, gab seine Frau zurück.